Der Aktienmarkt ist die Wirtschaft und ist sie doch nicht. Die Entwicklung des Aktienmarktes ist zwar eng mit der Entwicklung der Wirtschaft verbunden, aber trotzdem können sie sich eine Zeit lang in verschiedene Richtungen entwickeln.
In unserem letzten Quartalsbericht haben wir geschrieben, dass wir trotz den unzähligen Gefahren die Liquiditätsquote schrittweise reduzieren wollen. Dies hat sich als richtig erwiesen!
Callie Cox hat sich in ihrem Artikel «The investor’s guide to bull markets» mit der Frage beschäftigt, ob der aktuelle Aufschwung an den Börsen von Dauer sein könnte oder ob es sich, wie von der Mehrheit der Analysten behauptet, um eine Bärenmarktrally handelt. Wir wollen in diesem Bericht näher auf diese Frage eingehen.
Sind wir in einem neuen Bullenmarkt?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Bullenmärkte entstehen, wenn Anleger eine Krise gedanklich hinter sich lassen. Dies führt zu einer Rally, die in der Regel ein Jahr oder länger anhält und die Börsen auf neue Höchststände treibt. Der heutige Markt erweckt aber nicht gerade diesen Eindruck. Sollte es sich jedoch um eine echte Hausse handeln - was bedeutet, dass der Aufschwung von Dauer wäre - könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass ein wichtiger Wandel in der Marktpsychologie im Gange wäre.
Warum fühlt es sich nicht so an, als befänden wir uns in einer Hausse?
Weil die Aufgabe der Notenbanken noch nicht erledigt ist. Solange die Inflation über 2% liegt, haben sie einen Vorwand, die Wirtschaft weiterhin mit hohen Zinssätzen zu belasten. Solange wir die Inflation nicht in den Griff bekommen, ist eine Rezession nicht ausgeschlossen.
Ausserdem ist nicht zu übersehen, dass nicht alle Aktien im gleichen Tempo steigen. Kleinkapitalisierte Unternehmen, die in der Regel zu Beginn einer Hausse an der Spitze stehen, sind in diesem Jahr meilenweit hinter den Grossen zurückgeblieben. Auch zyklische Sektoren - oder Branchen, die in der Regel besser abschneiden, wenn die Wirtschaft wächst - sind ins Hintertreffen geraten. Der Grossteil der diesjährigen Kursgewinne sind auf eine Handvoll grosskapitalisierte Technologieaktien zurückzuführen, während der Rest des S&P 500 dem Index hinterherhinkt.
Jetzt kommt der heikle Teil: Bullenmärkte fühlen sich anfangs selten wie Bullenmärkte an. Seit 1950 hat der S&P 500 durchschnittlich drei Monate vor dem Ende einer Rezession seinen Tiefpunkt erreicht. Und wenn man wartet, bis sich die Dinge besser anfühlen, könnte man den Beginn der Hausse verpassen.
Wie weiss ich, ob es sich wirklich um einen neuen Bullenmarkt handelt?
Dies könnte davon abhängen, was wir auf dem Arbeitsmarkt und bei den Unternehmensgewinnen sehen. Wenn es den Verbrauchern und den Unternehmen weiterhin gut geht (die Zahl der Neueinstellungen und die Beschäftigung sind bisher konstant hoch geblieben), dann haben die Anleger einen guten Grund, optimistisch zu bleiben.
Eine gute Nachricht: Die Daten könnten noch besser werden. Analysten gehen inzwischen davon aus, dass die Gewinne des S&P 500 vierteljährlich steigen könnten - ein Trend, der in der Vergangenheit das Ende des Bärenmarktes markiert hat.
Natürlich ist «besser» nicht gleichbedeutend mit «gut», und es gibt immer noch Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums. Aber wir könnten uns in einer Situation befinden, in der die Anleger vor dem schlimmsten Szenario gewarnt sind, während sie sich langsam für das «best-case» Szenario erwärmen.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Wall Street irrt und wir uns immer noch in einem Bärenmarkt befinden?
Das Momentum ist im Moment auf der Seite der Anleger. Die Geschichte zeigt, dass es ungewöhnlich ist, dass Aktien acht Monate lang kontinuierlich steigen und dann plötzlich auf neue Tiefststände fallen. Das ist seit 1950 nur einmal passiert - in der Dot-Com-Blase.
Wie lange kann dieser Bullenmarkt andauern?
Wenn es sich um eine Hausse handelt, dann könnte die Rally historisch gesehen eine Weile dauern. Seit 1950 haben Bullenmärkte im Durchschnitt 5.5 Jahre gedauert - viermal so lange wie Bärenmärkte im gleichen Zeitraum. Während dieser Bullenmärkte hat der S&P 500 im Durchschnitt um 183% zugelegt.
Natürlich kann jede Hausse drastisch anders aussehen. Die jüngste Hausse, die von März 2020 bis Dezember 2021 dauerte, endete kurz vor der Zweijahresmarke. Davor erlebten wir einen 11-jährigen Bullenmarkt, als wir uns aus der globalen Finanzkrise herauskämpften.
Bullenmärkte verlaufen selten geradlinig nach oben. In den meisten Bullenmärkten der letzten Jahrzehnte gab es mindestens eine Korrektur von 10% oder mehr sowie zahlreiche Schlagzeilen, die auf ein bevorstehendes Ende des Bullenmarktes hindeuteten. Ausverkäufe kommen vor, selbst in starken Bullenphasen.
Wie positionieren wir uns?
Wir sehen dieses Jahr das umgekehrte Bild vom letzten Jahr – Wachstumsaktien laufen bisher wie verrückt, Valueaktien bleiben zurück.
Die Schweizer Schwergewichte (Nestlé, Roche und Novartis), die rund 45% des Swiss Performance Index SPI ausmachen, haben sich bisher relativ enttäuschend entwickelt. Roche steht seit Jahresstart im Minus, Nestlé unverändert und Novartis leicht im Plus.
Wir glauben nach wie vor, dass die Geldpolitik schrittweise in eine Lockerung übergehen wird. Ob die erste Zinssenkung noch in diesem Jahr oder erst im nächsten Jahr kommt, steht in den Sternen. Wir denken, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um sich im Markt zu positionieren. Wie bereits im T&V Kommentar von Q1 2023 beschrieben, haben wir unsere Bargeldbestände schrittweise zurückgefahren und verkleinern sie weiterhin.
Wir bleiben ausgewogen positioniert, um nicht auf dem falschen Fuss erwischt zu werden. Wir sehen ausserdem keine eindeutigen Hinweise, ob Value oder Growth übergewichtet werden sollte. Deshalb positionieren wir uns in beiden Bereichen.
Die Inflation ist zwar noch nicht besiegt, der Trend geht aber in die richtige Richtung!
Wie immer danken wir für das uns entgegengebrachte Vertrauen und wünschen schöne erholsame Sommermonate!
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